Auf Sicht fahren
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AUF SICHT FAHREN
NAVIGATING ON SIGHT

2022
Mehrteilige Installation / multi-part installation
Einzelausstellung / solo exhibition
Sound Peformance von / by Olga Hohmann / Lukas Kesler
Sankt Georgen, Wismar
Begleitet von / assisted by: Miro Zahra
Fotos / photography: Amelie Amei Kahn-Ackermann
Gefördert / funded by:
https://kunstraum-st-georgen.de

https://www.katharinahohmann.de/studio/paper/transit-ships-and-wrecks/
Studio: Various

infos

„Auf Sicht Fahren“, ein Begriff aus der Navigation, bezieht sich auch auf unser Orientieren an den eigenen Sinnen, auf eine nicht Technologie-gesteuerte Wahrnehmung – die ganz auf unsere Wachheit setzt und zwischen Subjektivität, Objektivität und Erfahrungswerten hin und her oszilliert.

Weiße, graue, hautfarbene Tonröhren verlaufen sich längelang durch das Mittelschiff der riesigen Kirche, passieren als breiter schwingender Fluss in Richtung Altarraum, machen die Quer-Passage unmöglich. Was fliesst hier? Gas für die Schneidbrenner am Horizont unserer Fantasie? Oder sind es Gebeine, ausgehöhlt, marklos und aus alten Ossuarien herbeigeschafft, aus den Beinkammern des Drachentöters in den Gruften der Kirche des Heiligen Georg?

„Wir navigieren drum herum, so wie wir unsere Bögen machen um ein zum Abwracken bereit gelegtes Schiff an den Küsten Indiens. Oder um ein archäologisches Feld“, sagt Katharina Hohmann und treibt das Spiel der Assoziationen weiter: „Die St.-Georgen-Kirche ist ein Transitraum und in ihrer Dimension kaum fassbar. Ich habe diese grosse Anzahl einzelner Keramikskulpturen eigens für diese Installation hergestellt, als meine Hommage an die rote, von Menschen gemachte Backsteinkirche. Diese habe ich nun etliche Male durchmessen – in gewisser Weise sind die Rohrskulpturen, ihre Herstellung, aber auch ihr Positionieren im Kirchenschiff, als meine körperliche Annäherung an Raum und Zeit zu verstehen. Die Röhren sind aber auch offene Denk-Gefässe: deren Form und Funktion ist so alt wie auch sehr zeitgenössisch.“

In der Südkapelle, ausgelegt auf zwölf Podesten, die zu Tischen werden, erzählen knapp hundert Aquarelle von Wismars Werft und den – kaum nahbaren – Schiffen: dem Stapellauf, der Fahrt auf hoher See, schließlich den indischen Abwrackstränden. Geschichten mit einem Ende. Schiffe, die Namen tragen, wie Menschen. Einst schrieben sich Menschen in ihrer Sehnsucht nach Unsterblichkeit auf riesigen Grabplatten in diesen Raum ein. Längst funktionslos geworden, lagern sie nun hinter der Kirche und scheinen ihre Erzählkraft verloren zu haben. Als leichtfüßige Betten geistern sie nun über den Ziegelboden.

Und immer waren Menschenstimmen in der Kirche zu hören: Maurer, Zimmermänner, Steinmetze, die sich Worte wie Werkzeuge zuwarfen. Wie ein großer Schwamm haben die roten Mauern der Kirche die Rufe, Gebete und Gesänge gespeichert.

Die in Berlin lebende Performancekünstlerin und Autorin Olga Hohmann und der Szenograf und Performer Lukas Kesler collagieren aus all jenen Namen der in Wismar gebauten Schiffe, einen dialogischen Sound, der während der Ausstellung im Kirchenschiff zu hören, bringt die stumme Installation zum Tönen.

"Driving by sight", a term from navigation, refers to orientation by our own senses, to a perception that is not controlled by technology but relies entirely on our alertness. It oscillates back and forth between subjectivity, objectivity and empirical values.

White, grey, skin-colored clay tubes run in lengths through the central nave of the huge church from the 13th century, passing as a broad river towards the seashore (about 500 metres away) and making it impossible to cross. What is flowing here? Gas for the cutting torches on the horizon of our imagination? Or are those tubes bones, hollowed out, marrowless and brought from ancient ossuaries, from the dragon-slayer's bone chambers in the crypts of the Church of St George?
We navigate around it, just as we make an arc around a ship laid ready for scrapping on the shores of India. Or around an archaeological field. St George's Church is a transit-space, and its dimensions are hardly comprehensible. I made this large number of individual ceramic sculptures especially for this installation, as my homage to the red, man-made brick church. I have now measured through it several times - in a way, the tube sculptures, their production, but also their positioning in the nave, are to be understood as my physical approach to this enormous space and a tribute to it. But the tubes are also open vessels of thought: their form and function are old and resounding with very contemporary issues to equal extents.
At the back of the south chapel, laid out on twelve pedestals that become tables, almost a hundred watercolors tell of Wismar's shipyard and the - hardly approachable - ships: the launching, the voyages on the seas, finally the Indian scrapping beaches. Stories with an ending. Ships that bear names, like people. The biggest cruise ship ever built now lies unfinished in Wismar Shipyard: Global Dream.
In their longing for immortality, people once inscribed their names on huge gravestones in this space. They are now stored behind the church and seem to have lost their power to tell stories - as they did once, covering the entire floor of the church. Now some of them are back: Printed on bedcovers, on light-footed beds, they now haunt the brick floor.
Human voices could always be heard in the church: Bricklayers, carpenters, stonemasons, throwing words at each other like tools. Like a big sponge, the red walls of the church stored the shouts, prayers, and chants.
Berlin-based performance artist and author Olga Hohmann and scenographer and performer Lukas Kesler merge all those names of the ships built in Wismar into a dialogic sound-collage that can be heard in the nave, making the silent installation resound.